Sprache und (Fremd-)Sprach(en)didaktik zwischen Konventionalität und Kreativität
Dass Sprache beständig in Bewegung ist, rückt angesichts der rasanten Entwicklung digitaler Medien, globaler Verflechtungen und der Faktizität sprachlich vielheitlicher Gesellschaften, die als Motor sprachlicher Veränderung wirken, zunehmend ins Bewusstsein. Die zunehmende Entgrenzung von Sprach- und Kommunikationsräumen und medial vielstimmig ausgetragene Kämpfe um Deutungen und Deutungshoheit, die die (Sprach-)Erfahrungen von Lerner*innen heute in nachhaltiger Weise prägen, stellt auch die Fremdsprachendidaktik vor neue Herausforderungen. Dementsprechend haben in den letzten Jahren in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Themen wie die Ausbildung multimedialer und -literaler Kompetenzen, die Potentiale und Implikationen gesellschaftlicher und individueller Mehrsprachigkeit, die didaktische Berücksichtigung von Sprachvariationen und gesellschaftlicher Diversität und die Frage nach sprachpolitischen Ungleichgewichten und gesellschaftlicher Teilhabe in der sprachdidaktischen Fachdebatte zunehmend an Gewicht gewonnen. Weniger Aufmerksamkeit hat dagegen im Fach bisher die grundlegende Frage nach dem Verhältnis von Konventionalität und Innovativität, von Norm und Normüberschreitung, von Nachahmung und Kreativität mit Blick auf Sprache und deren Vermittlung und Aneignung gefunden, die in vielfältiger Weise mit diesen Themen verknüpft ist. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sprachliche Regeln und Konventionen die Grundlage sprachlicher Verständigung bilden, verwundert es nicht, dass der Einübung und Automatisierung sprachlicher und kommunikativer Muster im Fremdsprachenunterricht traditionell ein zentraler Stellenwert zukommt. Die einheitliche Regularisierung und Standardisierung von Sprachen liegt aber letztlich nicht in der Natur von Sprache begründet, sondern ist entscheidend an das Konzept der Nationalsprachen gebunden. Kreative Sprachverwendung wurde im Zuge dieser Entwicklung mit dem Bereich der Literatur identifiziert, deren Sprache zudem als Abweichung von den Formen alltäglicher Sprachverwendung klassifiziert wurde. Dass die Fremdsprachendidaktik einen einseitigen Fokus auf konventionelle Formen der Sprachverwendung legt, gilt deshalb nicht nur für überkommene Formen eines primär grammatikbezogenen Fremdsprachenunterrichts und die auf die Automatisierung vorgegebener kommunikativer Muster hin ausgelegten Drillübungen der audiolingualen Methode, sondern auch für die aktuelle Praxis des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts. Denn auch er – trotz seines programmatischen Anspruchs, die reale Vielfalt sprachlichen Handelns zur Grundlage der Sprachvermittlung zu machen – auf die Vermittlung konventioneller Formen der Sprachverwendung, ohne den Lerner*innen Spielräume für kreatives sprachliches Handeln einzuräumen: Dies betrifft sowohl die Tendenz zur Kanonisierung feststehender sprachlicher Handlungssituationen im Übergang von der breiten Sammlung im Europäischen Referenzrahmen für Sprachen zur weitgehend vereinheitlichten Auswahl in aktuellen Fremdsprachenlehrwerken und die Standardisierung (vermeintlich) authentischer Sprachverwendung in Lehrwerkstexten und -dialogen im Dienste ihrer Vermittelbarkeit, wie die Idee der Transparenz, Eindeutigkeit und Stabilität kommunikativer Routinen (vgl. Dobstadt 2020). Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Input in der realen Welt heute „inordinately complex“ (Kramsch 2006: 251) geworden ist, scheint es nun aber dringend geboten, Fremdsprachenunterricht – anstelle einer einseitigen Privilegierung vermeintlich standardisierter Formen der Sprachverwendung – stärker als bisher im Spannungsfeld von Konventionalität und Kreativität zu verorten und von dorther neu zu denken. Möglichkeiten dazu sollen in der Ringvorlesung aus verschiedenen Perspektiven näher beleuchtet werden.
- Enseignant: Ursula Dorothea Riedner
- Enseignant: Aleš Urválek